Argumentationshilfen für Privacy

Möchte man seinen Mitmenschen erklären, warum man keinen Account bei Facebook hat, oder warum man nicht per WhatsApp zu erreichen ist, so kann dies eine heikle Sache sein. Wie schnell steht man als Ewig-Gestriger da, als jemand, der die aktuellen Entwicklungen ablehnt, womöglich diese nicht verstanden hat. Als Spaßfeind oder schlimmeres.

Je nach Gegenüber helfen einem ganz unterschiedliche Argumente aus der unangenehmen Situation. Das eigentlich entscheidende Argument ist, dass große Datensammlungen Demokratie und Freiheitsrechte bedrohen. Aber die Keule ist für manche vielleicht zu groß, vielleicht auch zu abstrakt. Deshalb kann es geschickt sein, je nach Gegenüber ein eigentlich schwächeres Argument zu wählen, wofür die Person aber zugänglicher ist. Hierzu möchten wir einmal beginnen hier ein wenig zu sammeln. Schreibt gerne weitere Argumente an die Mailadresse im Impressum.

Das 1. Argument für Sparsame

Daten sind Geld wert. Das sieht man u.a. daran, dass man für Daten vermeintlich "kostenlose" Dienste bekommen kann, aber auch daran, dass der Datenbestand eines zahlunsunfähigen Startups Teil der Konkursmasse ist und meistbietend verkauft wird.

Wenn für Daten Geld bezahlt wird, sind diese also ein Gut, mit dem man reflektiert umgehen muss. Etwas, das Geld wert ist, verschenkt man doch nicht einfach, oder?

Das 2. Argument für Sparsame

Preisdiskriminierung ist irgendwie kacke. Das Portal, bei dem ich meine Flüge buche, "weiß", dass ich großes Interesse an einem Flug nach London am ... habe. Mist, ich habe gestern schon danach gesucht. Weil die wissen, wie stark mein Interesse ist, ist der Preis höher.

Algorithmen haben auch berechnet, wie viel ich bereit bin, für mein neues Laptop zu zahlen. Günstigere Angebote werden mir gar nicht angezeigt.

Komisch. Und wieso zeigt mir die beste Suchmaschine der Welt eigentlich nicht alle guten Elektroversandhäuser an?

Nochmal was für Sparsame

Werbung hat die Funktion, uns dazu zu bewegen, etwas zu kaufen, das wir ohne die Werbung nicht kaufen würden. Manche Menschen, wie z.B. der Internetpionier Jaron Lenier, gehen sogar so weit, dass sie von Manipulation sprechen. Nein, sein wir nicht böse. Es ist nur ein bisschen Verführung. Diese Verführung gab es schon zu Zeiten der Fernsehwerbung. Es kam die Werbung für eine leckere Kalorienbombe und man ist zum Kühlschrank oder wo auch immer gelaufen und hat sie sich geholt. Der Unterschied zur Fernsehwerbung ist jedoch, dass die Verführung im Internet ungleich wirksamer ist, weil die Werbung aufgrund einer immensen Datengrundlage individualisiert und optimiert ist. Z.B. mit A/B-Testing wird erprobt, welche Variante einer Werbung virulenter ist.

Und geht es bei diesen kleinen Verführungen womöglich mitunter auch mal um einen Betrag, der die Kosten einer Tüte Chips oder Eis am Stiel geringfügig übersteigt?

Für Freunde der Objektivität und der Wahrheit

Wer viel über sich preis gibt und sich beim Surfen nicht gegen Tracking schützt, hat nicht mehr das Internet für Recherchen zur Verfügung, sondern sein Internet. Nur noch die Informationen, die zu ihm "passen", werden ihm von den freundlichen Diensten präsentiert.

Willkommen in deiner Filterblase Welt.

"Du kriegst deine Welt, wiesie wiesie wie sie dir gefä-hällt ..." (zu intonieren auf die bekannte Pippi-Langstrumpf-Melodie.)

Für Verfechter des freien Willens

Algorithmen "berechnen" aufgrund großer Datenmengen, wie geeignet ein Bewerber für einen Job ist oder ob ein Kunde sehr wahrscheinlich seinen Kredit zurückzahlen wird oder nicht.

Oft wird kritisiert, dass solche Daten verzerrt sind, weil sie ja davon abhängen, wie Menschen in der Vergangenheit entschieden haben. Gab man z.B. schwarzen Menschen selten die Chance, sich als Führungskraft zu beweisen, dann sagen die Daten: "Führungskompetenz ist positiv mit weißer Hautfarbe assoziert."

Füttern wir die Algorithmen mit Daten und lassen die Algorithmen über Menschen entscheiden, dann nimmt das den Menschen die Chance, "die Ausnahme von der Regel zu sein". (Zitat Sandra Wachter auf dem Symposium zu Künstlicher Intelligenz des MPI Tübingen im September 2018)

Um es mal ganz plakativ zu sagen: Der dunkelhäutige, bisexuelle Sohn von alkoholkonsumierenden Eltern aus Neukölln kann dann niemandem zeigen, dass er das Zeug zu einer exzellenten Führungskraft hat.

Dass er nicht führen dürfen wird, steht zum Zeitpunkt seiner Geburt fest.

Für Liebhaber der Demokratie und des freien Diskurses

Glenn Greenwald beschreibt in seinem Buch "Die globale Überwachung" die unangenehmen Vorgänge bei Massenüberwachung. Wer das Gefühl hat, überwacht zu werden, internalisiert den Beobachter. Der Beobachtete hat Angst vor falschen Schlüssen des Beobachters und verhält sich entsprechend vorsichtig. Er begeht keine Handlungen, z.B. Suchanfragen, Postings, die missverstanden werden könnten.

Der selbstzensierte Mensch steht jedoch im Widerspruch zur humanistischen Idee eines freien Menschen.

Studien belegen, dass Menschen, die sich beobachtet fühlen, in Diskussionen andere Meinungen vertreten, als wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

Das Gefühl, Gedanken äußern zu dürfen, ohne dass ein unbedachtes Wort immense Folgen hat, ist wichtig für einen funktionierenden Diskurs. Demokratie braucht Freiräume und sie erstickt in Überwachung.

Laut Greenwald war es immer Voraussetzung für politischen Fortschritt, dass die herrschende Meinung in Frage gestellt werden durfte und neue Denk- und Lebensweisen erprobt werden konnten.

Für Bodenständige

Hast du ein Gegenüber, das der Meinung ist, dass man nicht ohne Not einen Kredit aufnehmen sollte, also niemals ohne Not auf Kosten der Zukunft leben sollte? Dann probiers mal hiermit:

Bezahlen mit Daten ist wie ein ganz diffuser Kredit. Man spürt die Auswirkungen der Tatsache, dass jetzt private oder intime Daten in der Hand von Werbetreibenden sind, zunächst mal gar nicht. Eventuell bekommt man später Auswirkungen davon zu spüren. Je nachdem, an wen die Daten verkauft werden, wie sich die politische Landschaft verändert, wie die technische Entwicklung weitergeht usw. Man kann es nicht wissen. Der Preis liegt in der Zukunft und er ist völlig unklar. Deswegen die Formulierung "diffuser Kredit". Bei einem konventionellen Kredit über einen Euro-Betrag ist das sehr viel klarer. Nehme ich heute einen Kredit mit nicht allzu langer Laufzeit auf, kann ich mir die Kosten des Kredits ausrechnen.

Hier noch zwei kleine Beispiele für die möglichen Kosten von Datenfreizügigkeit:

  1. Die Daten, die du heute preis gibst, könnten den Preis einer Versicherung, die du in 10 Jahren abschließen möchtest, empfindlich beeinflussen ...
  2. Das BAMF entscheidet IT-gestützt darüber, ob Geflüchtete bei uns bleiben dürfen oder nicht. Wer weiß schon, ob wir selbst irgendwann vor einer Naturkatastrophe flüchten müssen und uns das Geschäftsmodell "Zahlen mit Daten" die Eintrittskarte in ein sicheres Land kostet?

Für Menschen, die dem Individuum eine lebenslange Entwicklung zugestehen, sowas wie "lebenslanges Lernen" - z.B. Pädagogen

Die Vergangenheit hat leider immer eine Bedeutung für die Gegenwart. Je mehr über die Vergangenheit eines Menschen bekannt ist, desto größer ist die Macht der Vergangenheit. Sie könnte dann die Weiterentwicklung eines Menschen, die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit behindern.

Nehmen wir z.B. einen überzeugten Vegetarier. Wird dieser von seinen Mitmenschen ernst genommen, wenn bekannt ist, mit welcher Lust und Wonne er früher mal Fleisch gegessen hat? Vielleicht gibt es sogar schöne Fotos davon.

Jeder Mensch sollte das Recht haben, sich weiter zu entwickeln. Entwicklung kann auch heißen, dass man sich in Bezug auf ein Thema um 180 Grad dreht. Das "Recht auf Vergessen" wird genau aus diesen Gründen gefordert.

Für Kartenspieler

Wärst du bei Skat, Poker etc. damit einverstanden, dass du mit offenen Karten spielst, deine Mitspieler aber nicht?

Wohl kaum! Du wärst im Nachteil gegenüber deinen Mitspielern.

Das gleiche geschieht aber mit uns Verbrauchern: Wir sind gläsern und die Konzerne schützen ihre Geschäftsgeheimnisse sehr gut.

In "Die Datenfresser" gibt es eine fiktive Geschichte, die dieses Machtungleichgewicht sehr gut verdeutlicht. Ein gut laufendes Unternehmen, das ein Fleisch-Ersatzprodukt herstellt, bemerkt, dass ihr Produkt gesundheitliche Nebenwirkungen hat. Das detailreiche Wissen, das das Unternehmen von den eigenen Mitarbeitern hat, wird erfolgreich eingesetzt, um diese Information unter Verschluss zu halten.


Rhethorische Tricks der Transparenz-Befürworter enttarnt

Das "Nothing to hide"-Argument

Die Rhetorik gegen Datenschutz baut auf der Unterscheidung der Menschen in zwei Gruppen auf:

  1. Die rechtschaffenden Bürger, die sich an alle Regeln halten. Sie brauchen sich vor Überwachung nicht zu fürchten, denn sie haben nichts zu verbergen.
  2. Die Kriminellen, insbesondere Terorristen. Hier hat der Staat, um sich und seine Bürger zu schützen, ein berechtigtes Interesse zur Überwachung.

Wäre es richtig, dass es nur diese zwei Kategorien gibt, dann wäre Überwachung wirklich uneingeschränkt zu befürworten. ABER: Es gibt nicht nur diese zwei Kategorien! Was ist mit Journalisten, die sich an Gesetze halten, aber kritisch berichten wollen? Was ist mit Oppositionellen, die auf demokratischem Wege gegen Maßnahmen der aktuell regierenden Partei kämpfen wollen?

Die Gleichung "Google + Facebook = Internet"

Äußert man sich kritisch über die Monopole, wird einem oft unterstellt, man wolle die Technik gar nicht mehr nutzen. Man erkenne die positiven Seiten des Internets nicht an, z.B. dass es Menschen quer über den Globus vernetzt.

Man kann die Dienste der Monopole kritisch sehen und gleichzeitig das Internet großartig finden, denn diese Unternehmen sind nicht das Internet. Sie sind nur Teil des Internets. Zwar besteht die Befürchtung, dass sie dieses Medium so dominieren werden, dass es gar kein Zurück mehr gibt, aber genau das möchte ja der datenbewusste Bürger verhindern helfen.

Sehen immer mehr Menschen das Geschäftsmodell "Bezahlen mit Daten" kritisch und hören auf, solche Dienste zu nutzen, entsteht ein Markt für fairere Online-Dienste mit anderen Geschäftsmodellen, z.B. "Zahlen mit einem kleinen Euro-Betrag".

Wir brauchen die Überwachung, um uns vor Terrorismus zu schützen

Experten, wie z.B. Glenn Greenwald, bezweifeln, ob die anlasslose Massenüberwachung tatsächlich zu einem Mehr an Sicherheit führt, sondern sie befürchten sogar, dass das Gegenteil der Fall ist. Entscheidende Informationen könnten in einer Flut von Daten untergehen. Es wäre zu wünschen, dass man die Massenüberwachung aufgibt und stattdessen die dadurch frei werdenden Ressourcen in anlassbezogene Überwachung lenkt, um wirklich relevante Informationen zu bekommen und die Bürger effizienter zu schützen.

Wegen des Wunsches, Massenüberwachung betreiben zu können, werden sogar bekannte Sicherheitslücken in Software nicht geschlossen. Z.B. sind auch Staatstrojaner auf solche Lücken angewiesen. Ohne bekannte Sicherheitslücke kein funktionierender Trojaner. Diese Lücken können jedoch auch Kriminelle nutzen. Hier werden also unter der Überschrift "Terrorismusbekämfung" Einfallstore für Kriminelle offen gelassen. Der Staat kommt hier seiner Fürsorgepflicht nicht nach.